Von der Magie der Gemeinschaft

Filmrezension zu „Die Schule der magischen Tiere“, Teil 2

Eine Geschichte rund um die Themen Schule und Magie – das ist seit der Harry Potter-Reihe ein Erfolgsrezept für das Kino. Auch ich konnte nicht widerstehen und habe mir „Die Schule der magischen Tiere“ (Teil 2) gleich zweimal angesehen – das erste Mal zusammen mit meinen Töchtern (beide im Grundschulalter) und das andere Mal mit meiner sechsten Schulklasse einer Düsseldorfer Gesamtschule. Ich konnte so erleben, dass Kinder unterschiedlicher Altersklassen und sozialer Schichtzugehörigkeit, Jungen wie Mädchen, gleichermaßen davon zu begeistern waren.

Der Film basiert, wie bereits sein Vorgänger, auf der gleichnamigen Buchreihe der Erfolgsautorin Margit Auer. Im Mittelpunkt der Filmhandlung steht – abgesehen von der nur zart angedeuteten Liebesgeschichte zwischen Ida und Jo – der durch das Geheimnis der magischen Tiere gestiftete Gemeinschaftsgedanke, der in eine spannende Geschichte rund um die Suche nach der Wahrheit über die Gründung der Schule vor 250 Jahren verpackt ist. Das Ideal einer verschworenen Gemeinschaft wird von der Lehrerin Miss Cornfield vertreten und steht, gepaart mit dem großen Vertrauen, das sie in die Fähigkeiten ihrer Schüler:innen setzt, im Gegensatz zum autoritären Führungsstil des Schuldirektors Siegmann, der Kinder als reine Befehlsempfänger betrachtet und sich ansonsten vor allem für seine eigene vermeintliche Grandiosität interessiert.

Der Gegensatz zwischen Miss Cornfield und Direktor Siegmann ist bedeutsam für die Dramaturgie des Films. In der Rahmenhandlung hat die Pädagogin einen entscheidenden Anteil daran, die Wahrheit über Kurfürst Wunibald und die Rolle seiner Schwester Adelheid im Kampf gegen eine Räuberbande ans Licht zu bringen. Der Sieg über die Räuber stellt den Gründungsmythos der Schule dar. Siegmann seinerseits investiert viel Energie in die Vertuschung der Tatsache, dass nicht Wunibald, sondern Adelheid die Räuber besiegte, und hat zu diesem Zweck eigens ein Schultheaterstück verfasst. Die Schulklasse pfeift auf diese Geschichtsklitterung und probt heimlich, mit Unterstützung ihrer Lehrerin, ihre eigene Version des Dramas.

Der pädagogische Ansatz von Miss Cornfield besteht darin, die magisch inspirierte Klassengemeinschaft zu pflegen und in diesem Rahmen die Kinder vieles selber machen zu lassen. Dabei hilft es, dass sie die Schwester des „Die magische Tierhandlung“-Inhabers Mortimer Morrison ist, und dass sie bei aller Selbstorganisation, Arbeitsteilung und zuweilen auch Zwistigkeit innerhalb der Klasse über deren Zusammenhalt wacht. Diese Aufgabe nimmt sie sogar nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst weiterhin wahr, indem sie die nun komplett selbständig handelnde Gruppe heimlich im Auge behält. Vor allem aber entfalten die von ihr und ihrem Bruder in Form der magischen Tiere gestifteten Werte ihre Wirkung.

Die magischen Tiere dienen als emotionales Zentrum der Schulklasse wie auch der Filmhandlung. Ihre unterschiedlchen Charaktere korrespondieren jeweils mit der Persönlichkeit ihres menschlichen Gefährten. Sie markieren auch Schwierigkeiten in der Identitätsfindung der jugendlichen Protagonisten und helfen dabei, diese zu überwinden. Dies gilt besonders im Falle von Jo und Anna-Lena. Während Jo dazwischen schwankt, einerseits ein „cooler Typ“ zu sein und andererseits Ida seine Zuneigung auf unverstellte Weise zeigen zu wollen, hat Anna-Lena damit zu kämpfen, für sich selber einzustehen und ihr wahres Talent als Sängerin nicht unter dem Deckmantel der Angepasstheit an Helenes Clique zu verstecken. Die in den Tieren sichtbare Magie lässt sich auch als Metapher für Mut, Phantasie, Imaginationskraft und Kreativität deuten. Wohl nicht zufällig ist das gemeinsame Projekt der Schulklasse eine Musiktheater-Aufführung.

Der Film ist in seiner ganzen Aufmachung und vor allem in der Darstellung der fiktionalen Schulwirklichkeit so sehr auf altmodisch getrimmt, dass er fast schon als reaktionär zu bezeichnen wäre – hätten die Filmmacher nicht an einigen Stellen wohldosierte Gegenwartsbezüge auf intelligente Weise in die Handlung eingeflochten. So ist Direktor Siegmann nur unschwer als Trump-Karikatur zu erkennen. Er verkörpert den Typus des opportunistischen Narzissten, dem es stets noch gelingt, seine eigene Unfähigkeit in Erfolg umzudeuten – Nomen est Omen. Am Ende glückt ihm dies jedoch nur mit tatkräftiger, gesichtswahrender Unterstützung der Filmheldinnen Ida und Miss Cornfield. Der Hauptgegenstand seines Eiferns ist die Aufrechterhaltung der erlogenen patriarchalen Version der Geschichte von Wunibalds angeblichem Sieg über die Räuber – diese wird von den feministisch aufgeklärten Schüler:innen bereits zu Beginn der Filmhandlung als „Fake News“ entlarvt.

Am Ende des Films interviewt ein offensichtlich linksliberaler Journalist begeistert den vermeintlichen emanzipatorischen Vorkämpfer Siegmann und lässt dabei jegliche professionelle Distanz vermissen. Es entspricht einerseits dem Zeitgeist, wirkt aber andererseits etwas gewollt, dass diese Rolle einem der wenigen nicht-weißen Darsteller innerhalb des für das Jahr 2022 schon auffallend weißen Casts zufällt. Ansonsten wird die Handlung fast ausschließlich von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft getragen, was schon an den traditionellen Namen der Kinder deutlich wird (Ida, Helene, Anna-Lena usw.). Auch Corona fand, wenn auch verschlüsselt, Eingang in die Filmhandlung. Der Direktor droht an einer Stelle damit, die Schule müsse wieder geschlossen werden, wenn der Verantwortliche für die seine Geschichtsfälschung bedrohenden Grabungen auf dem Schulhof nicht bald gefunden werde. Mit der Theateraufführung würde es dann nichts. Das Thema Lockdown drängt sich hier als Assoziation geradezu auf.

Vor allem im letzten Drittel des Filmes kommt der bewährte und bereits frühzeitig in die Filmhandlung eingeführte Kunstgriff des „Theaters auf dem Theater“ voll und ganz zum Tragen. Die Schulklasse führt ihr selbstgestaltetes Stück über den Kampf des Geschwisterpaares Wunibald/Adelheid mit den Räubern auf, in dem, der filmfiktionalen historischen Realität folgend, die Fürstin den Sieg erringt, während ihr Bruder sich hinter dem Thron versteckt. Es kommt zu einer reizvollen Verschränkung von Film- und Theaterhandlung, als die jugendlichen Darsteller des kurfürstlichen Geschwisterpaares in voller Kostümierung die geheime Kammer der echten Adelheid entdecken und damit die Wahrheit ans Licht bringen.

Gut und böse sind in der Handlung recht eindeutig verteilt, wie es in einem Kinderfilm auch nicht anders zu erwarten ist. Der am differenziertesten gezeichnete Filmcharakter ist die Rolle der Helene, die als Bösewicht zu bezeichnen nicht ganz richtig wäre. Sie ist vielmehr der Prototyp der Influencerin im Zeitalter des digitalen Kapitalismus – stets um Aufmerksamkeit, Erfolg und positives Image bedacht und als einzige im ganzen Film mit einem Smartphone ausgestattet. Sie tritt als gefürchtete Wortführerin, Cliquen-Chefin und Intrigantin in Erscheinung. Ihre eigene Verletztheit wird jedoch ebenfalls deutlich, als sie kurz vor dem geplanten großen Auftritt mit ihren Eltern telefoniert und dabei ihre Enttäuschung über deren Fernbleiben von der Theateraufführung nur mühsam überspielen kann: „ja, das Investorenmeeting ist natürlich wichtiger.“ Als das vormals von ihr gedemütigte Mitglied ihrer Clique Anna-Lena sie aus einer gefährlichen Lage rettet und dabei ihren eigenen Auftritt im Theater aufs Spiel setzt, erkennt Helene zumindest vorübergehend den Wert wahrer Freundschaft und tritt ihren Anspruch auf die Hauptrolle in ehrlicher Anerkennung an Anna-Lena ab. Es wäre allerdings Kitsch, wenn Helene nicht kurze Zeit später wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen würde.

Auf die Realität übertragen lässt sich der Film als Plädoyer für eine Schule deuten, die gleichermaßen ein Ort der Gemeinschaft wie auch der Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung von Lernenden ist. Das damit einhergehende Prinzip des Lernens durch Erfahrung anstelle von reinem Bücherwissen wird im Film von der Schildkröte Henrietta formuliert, die gleichwohl im stolzen Alter von 200 Jahren noch das Lesen lernt. Die wichtigste Aufgabe von Pädagog:innen ist es in dieser Perspektive, für die „Magie“ zu sorgen, also den jungen Menschen durch Beziehung und Vorbildfunktion die Inspiration zu kritischem Denken und zur Kreativität einzupflanzen und gerade dadurch auf lange Sicht sich selber überflüssig zu machen. Digitalisierung kommt im Film überhaupt nicht vor. Und nicht zuletzt ist die Schule in diesem Film ein Ort emanzipatorischer Selbstbehauptung sowohl gegenüber falschen Geschichtsbildern und Ideologien als auch gegenüber dem Autoritarismus des Schuldirektors. Es ist wohl kein Zufall, dass der einzige eindeutig proletarisch gezeichnete Filmcharakter, der schlicht gestrickte Hausmeister Wondraschek, einerseits eine Art Hanswurst, andererseits aber eben auch ein Sympathieträger ist – vor allem aufgrund seiner Kujonierung durch die snobistische Hassfigur Siegmann. Ist der Film deshalb antikapitalistisch? Die Frage ist zu verneinen, denn der Rahmen eines vor allem unterhaltsamen, letztlich konventionellen Kinderfilms wird nicht gesprengt.

Dennoch hebt sich der Film u.a. mit Blick auf das intelligente Drehbuch, die liebevolle Ausstattung, die mitreißende, nach allen Regeln der Kunst ausgeführte Filmmusik und den brillanten Cast wohltuend von manch anderem deutschen Kinohit ab. Und das Ideal einer magisch verschworenen Gemeinschaft, die für die Wahrheit kämpft und sich im emanzipatorischen Sinne selbst behauptet, bleibt zumindest in meiner bescheidenen Wahrnehmung auch nach dem Kinobesuch im Kopf und im Herzen des Zuschauers haften und weist über die Filmhandlung hinaus. Was kann man sich von einem Kinderfilm mehr wünschen?

Wi(e)der „neue Lernkultur“

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